William Shakespeare, 1564 geboren in Startfort upon Avon, gilt als einer der wichtigsten und einflussreichsten Autoren der Weltgeschichte. Sein Gesamtwerk umfasst Dramen, epische Verdichtungen sowie 154 Sonette. Diese Sonette bilden einen übergeordneten Zyklus rund um das Thema „Liebe“. Einzig das Sonett Nr. 66 fällt – zumindest in den ersten 12 Zeilen – deutlich aus dieser Thematik heraus: Hier beklagt der Autor den Zustand der Welt und die Schlechtigkeit der Menschen und der Gesellschaft seiner Zeit. Beim Lesen der Zeilen ist man erstaunt, wie wenig sich in den letzten 450 Jahren geändert hat, denn die Lebensumstände, die Shakespeare zu seiner Zeit beklagte, finden sich auch heute noch – wenngleich in anderer, moderner Form – wieder. Damals wie heute bläht sich „das Nichts auf in Prahlerei“, werden „meisterliches Können missachtet“, „Kunst von der Obrigkeit stumm gemacht“ und „Einfachheit der Einfalt zugezählt“, ganz abgesehen von den bedauernswerten Menschen, die in den Medien unserer Zeit unter Gejohle und Ge-gröle jeglicher Ehre und Würde beraubt werden.
Erst in den letzten beiden Zeilen – dem Couplet – kehrt Shakespeare zum übergeordneten Thema der Sonette, der Liebe, zurück: Alles Schlechte in der Welt lässt sich ertragen, sofern es die Liebe eines Menschen (oder zu einem Menschen) gibt. Gibt es einen schöneren Gedanken?
Das 66. Sonett gilt als das am schwierigsten zu übersetzende der Sammlung. Das liegt – so Wolf Biermann – sicher auch daran, dass die englische Sprache eine wesentlich größere Verdichtung erlaubt als die deutsche, so dass der Sinn des Gedichts nur schwer in das Schema des 5-hebigen Jambus des Sonetts gebracht werden kann. Zahlreiche Autoren haben sich trotzdem an einer Übersetzung des Textes versucht. Der Kasseler Schriftsteller und Philosoph Ulrich Erckenbrecht hat in seinem bemerkenswerten Buch „Skakespeare Sechsundsechzig – Variationen über ein Sonett“  weit über 150 verschiedene Übersetzung oder Nachdichtungen des Sonetts gesammelt, die in den Extremen unterschiedlicher nicht sein können. Die Texte unter den Pseudonymen „Adler“ und „Meise“ auf dieser CD wurden von ihm gefertigt. Einige Autoren versuchen, sich so eng wie möglich an den Originaltext zu halten, andere übersetzen das zeitlose Shakespeare‘sche Missbehagen an der Welt mit heutigen Worten in die heutige Zeit. Kurz: Es ergibt sich eine erstaunlich Spannbreite an Interpretationen und Nachdichtungen des Gedichts, die dazu einladen, dieses Sonett und seine Kernaussagen immer wieder neu zu entdecken.
Nur ein Jahr älter als Shakespeare war der 1563 (vermutlich) in London geborene Lautenist und Komponist John Dowland, der es zu ähnlicher langanhaltender Berühmtheit brachte wie sein Zeitgenosse. Wahrscheinlich kannten sie sich sogar persönlich, aber das ist historisch nicht belegt. John Dowland schrieb zahlreiche Stücke und Lieder für die Laute, die auch heute noch häufig, zumeist auf der Konzertgitarre, gespielt werden. Ein gemeinsames Merkmal zahlreicher Komposi-tionen aus seiner Feder ist eine gewisse Melancholie. Semper Dowland, semper Dolens (immer Dowland, immer schmerzhaft) – so der Titel eines seiner Werke – scheint vielen seiner Stücke programmatisch zugrunde zu liegen. Besonders beeindruckend ist dies in seiner Komposition „Forlorne Hope“ umgesetzt, in der das Trauermotiv (das ist in der Sprache der Musik eine fallende Sekunde) mehrere hundert Mal zu hören ist.
Was liegt näher, als den Weltschmerz zweier Jahrtausendgenies auf einer CD zusammen zu bringen? 15 verschiedene Autoren, interpretiert von 14 Personen unterschiedlichen Alters und Geschlechts, Sprech“laien“ sowie professionell ausgebildete SprecherInnen, leuchten das immer noch hochaktuelle 66. Sonett von Shakespeare aus unterschiedlichsten Perspektiven aus, gepaart mit korrespondierender Musik von John Dowland.

An dieser Stelle sei allen an dieser CD mitwirkenden Personen gedankt. Ein besonderer Dank gilt dem Kasseler Schriftsteller und Philosophen Ulrich Erckenbrecht, der diese Produktion immer wieder mit hilfreichen Ratschlägen begleitete.

www.helmut-richter.de    www.muriverlag-erckenbrecht.de


01  Complaint
      Altenglischer Originaltext – Stefan Ehret
      Complaint

02  Wilhelm Adler – Claudia Brodzinska-Behrend
      Flow my Tears

03  Rolf Meise – Udo Kloppert
      Melancholy Galliard

04  Achim Amme – Anke Roeßing
       Fancy

05   Diethard Kerbs – Christoph Joosten
       Semper Dowland, Semper dolens

06   Hans Hübner – Tagrid Yousef
       The Sick Tune

07   H.-M. Enzensberger – Jannik Süselbeck
        Lachrimae

08   Ingeborg Vetter – Monika Chmielecki
       The Queen Elisabeth, her Galliard

09   Zwischenspiel: Go from my Window
 

10   Matthias Schleifer– Gabi Richter
       Come again

11   Rayk Wieland – Helmut Richter
       A Fancy

12   Stefan Stein – Alina Richter
       Forlorne Hope

13   Sebastian Kortz – Manfred Uchtmann
       Now, O now I needs must part

14   Dirk Strauch– Dana Richter
       Fantasie Nr. 7

15   Stefan Hermlin – Walter Machtemes
       Can she Excuse

16   Helmut Richter
       Come heavy sleep